September 2020
Nutzfläche, Visitenkarte, Stellplatz: Der Vorgarten im Wandel der Zeit
Vorgärten, wie wir sie heute kennen, sind eine relativ junge Erscheinung. Tatsächlich spielen sie als bepflanzte Fläche zwischen Haus und Straße erst seit dem 18. Jahrhundert eine Rolle. Der Grund: Über viele Jahrhunderte herrschte in den ummauerten, dicht bevölkerten Städten absoluter Platzmangel. Die Häuser wurden dicht an dicht gebaut und grenzten zudem direkt an enge Gassen. Erst, als auf Stadtmauern als Befestigungsanlagen verzichtet wurde, stand mehr Raum zur Bebauung zur Verfügung und die Siedlungen konnten sich ausdehnen. In den neuen Straßendörfern und Vororten rückten die Gebäude mehr und mehr von den Straßen und Wegen ab und gaben einen neuen, nutzbaren Raum frei: Der private Vorgarten war geboren.
Nutzfläche und Aufenthaltsort
Die neue Fläche zwischen Straße und Haus bot den Menschen die Möglichkeit, eigenes Obst und Gemüse anzupflanzen und sich selbst zu versorgen. Zugleich wurde die grüne Fläche zu einem beliebten Aufenthaltsort. Dort wurden alltägliche Dinge erledigt, wie Bohnen putzen oder Kartoffeln schälen. Damit einhergehend übernahm der Vorgarten eine wichtige kommunikative Funktion, denn bei diesen Tätigkeiten kam man mit den Nachbarn oder Passanten ins Gespräch. Wer es sich leisten konnte, gestaltete seinen Vorgarten als reinen Ziergarten. In der breiten Bevölkerung kam diese Art der Bepflanzung erst Ende des 19. Jahrhundert an. Während der Industrialisierung wuchsen die europäischen Städte rasant, oftmals auf Kosten der Wohn- und Lebensqualität der Neubürger. Als Gegenbewegung entwickelte sich in England die Idee der Gartenstadt. Auch in Deutschland wurde der Ruf nach mehr Pflanzen in Wohngebieten laut und so wurden bewusst Grünstreifen vor den Gebäuden angelegt. Diese boten neben den Nutzpflanzen auch Zierpflanzen.
Visitenkarte und Parkplatz
Zäune, Ziergitter, Pflasterungen und eine beeindruckende Vielzahl an Pflanzen: Der Vorgarten nahm nun eine ganz neue Rolle ein. Er wurde zur „Visitenkarte des Hauses“. Mit blühenden Stauden und akkurat geschnittenen Gehölzen schmückte man das Haus und zeigte sich als Natur- und Gartenfreund. So entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts ganze Straßen beziehungsweise Neubaugebiete mit eindrucksvoll bepflanzten Vorgärten, die in ihrer Gesamtheit das Siedlungs- und Städtebild positiv prägten. Bis in die Sechziger hinein stand außer Frage, dass die Fläche vor dem Haus lebendig sein musste. Erst, als sich ein Großteil der Menschen ein Auto leisten konnte, wandelte sich diese Einstellung aus einem ganz praktischen Grund: Vor dem Haus baute man sich einen Parkplatz, um den eigenen Wagen abstellen zu können. Hierfür wurde nicht selten ein Teil des Vorgartens genutzt.
Pflegeleicht soll er sein
„Das Verhältnis der Menschen zum Vorgarten hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: Von der Nutzfläche zur Visitenkarte bis hin zum Stellplatz. Aktuell dreht sich beim Vorgarten viel um das Wort ‚pflegeleicht‘“, erklärt Achim Kluge vom Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL) e.V.. „Der Vorgarten soll nach wie vor repräsentativ sein, aber den Hausbewohnern möglichst wenig Zeit abverlangen. Aus diesem Grund setzen einige Grundstücksbesitzer auf Schotter und Kies, anstatt auf lebendige Pflanzen. Dabei verlangt ein standortgerecht und gekonnt begrünter Vorgarten auf lange Sicht weniger Aufmerksamkeit als die Steinwüsten. Ein mit Bodendeckern und kleinen Gehölzen bepflanzter Vorgarten lässt Unkräutern keine Chance – wohingegen in einer Schotterfläche sich nach und nach Unkräuter ansiedeln, die nur mühsam wieder entfernt werden können.“
Aufgrund steigender Bodenpreise werden die Grundstücke in Neubaugebieten insgesamt seit Jahren kleiner. Damit hinter dem Haus ein ausreichend großer Garten entstehen kann, rücken die Häuser tendenziell nach vorne näher an die Straße. So erklärt sich, dass die Vorgärten im Vergleich zu früheren Bauweisen heute immer weniger Fläche haben. Diese individuell und abwechslungsreich zu gestalten, empfinden viele Gartenbesitzer als sehr anspruchsvoll. „Ob Bodendecker, Stauden und Gräser, kleine Gehölze – es gibt viele Möglichkeiten, auch kleine Vorgärten grün und blühend zu gestalten“, betont Kluge. „Und es gibt auch viele gute Gründe, denn schon während der Industrialisierung haben die Menschen erkannt, dass Pflanzen die Lebensqualität erhöhen und für bessere Luft in den Städten sorgen. Darüber hinaus beeinflussen sie das Kleinklima positiv und bieten Vögeln und Insekten Nahrung, was mehr und mehr eine Rolle spielt. Ganz abgesehen davon: Begrünte Vorgärten geben den Straßen und Städten einfach ein freundliches Gesicht.“
Quelle: galabau-nrw.de