September 2021

Nachhaltige grüne Infrastruktur: Prof. Jonas Reif über strategische Pflanzplanung

Seit dem Herbst 2019 ist Jonas Reif an der Fachhochschule Erfurt in der Fachrichtung Landschaftsarchitektur zum neuen Professor für das Gebiet „Pflanzenverwendung und Vegetationskonzepte“ berufen. Von 2011 bis 2018 war er Verantwortlicher Redakteur der Ulmer-Fachzeitschriften „Gartenpraxis“ und „Gärten“. Darüber hinaus hat er mehrere Fachbücher zu Themen der Pflanzenverwendung veröffentlicht.

Sie forschen und lehren an der FH Erfurt im Fachbereich „Pflanzenverwendung und Vegetationskonzepte“. Was sind Ihre Schwerpunktthemen?

Neben allgemeinen Aspekten der Pflanzenverwendung, die den standortgerechten Einsatz von Pflanzen sowie ästhetische und funktionale Aspekte einschließt, beschäftige ich mich intensiv mit zwei Fragen: Was können Pflanzen alles im urbanen Raum leisten? Und wie nachhaltig sind Pflanzprojekte? Man kann das sehr gut unter dem Titel „Strategische Pflanzplanung“ zusammenfassen.

 

Strategische Pflanzplanung klingt gut – was bedeutet das konkret?

Die Pflanzplanung wird oft nur als eine Teilaufgabe der Freiraumplanung angesehen. Damit bleibt sie aber hinter ihrem Potential zurück. Angesichts zunehmender Verstädterung und dem Klimawandel wird eine Stadtplanung gefordert, die die Überhitzung von urbanen Bereichen vermindert (HeatResilientCity). Die besten Klimaanlagen in Städten sind zweifellos Bäume – aber nur dann, wenn sie mit ausreichend Wasser versorgt sind. Eine strategische Pflanzplanung sollte nicht nur „Restflächen in der Stadt“ begrünen, sondern aktiv Bestandteil der Architektur sein. Eigentlich sollten in Innenstädten gar kein Gebäude mehr ohne aktiv bewässerte Gründächer und Baumreihen von deren Südseite gebaut werden.

 

Stichwort Nachhaltigkeit: Bedeuten mehr Pflanzen nicht automatisch mehr Nachhaltigkeit?

Wenn man die Gartencenter-Sortimente mit den vielen kurzlebigen Pflanzen sieht, habe ich daran meine Zweifel. Aber auch der umgekehrte Ansatz, Pflanzen ein langes Leben zu ermöglichen – zum Beispiel durch die Schaffung optimaler Baumstandorte, muss nicht zwingend die nachhaltigste Lösung sein. Warum nicht auch mal anspruchsarme Pionierbaumarten in Straßen pflanzen, die nach 30 Jahre ausgetauscht werden? Die Pflegekosten eines Baumes nehmen im Alter beträchtlich zu… Lebenszykluskosten und CO2-Bilanzen sollten auch bei der Pflanzenverwendung eine Rolle spielen.

 

Die Folgen des Klimawandels zeigen sich verstärkt im bebauten Raum. Welche Sortimente – insbesondere bei Gehölzen – haben Zukunft?

Es ist naheliegend, dass Hitze- und Trockenstress ertragende Gehölze inzwischen im Fokus stehen. Aber wenn wir vor allem in Innenstädten die aktive Kühlfunktion wollen, dann brauchen wir auch Pflanzen, die – mit künstlicher Bewässerung – maximal transpirieren. Der Klimawandel hat gewiss viele Nachteile, aber nicht nur. Vor allem in Städten können wir durch weniger Frosttage inzwischen auf ein größeres Sortiment an Pflanzen zurückgreifen, einschließlich Palmen, Wüstenpflanzen und australischem Eukalyptus.

 

Was wird in Zukunft nicht (mehr) funktionieren?

Dies kann man weniger an konkreten Arten ausmachen. Vielmehr geht es darum, dass wir falsche Pflanzen am falschen Standort vermeiden sollten. Dies bedeutet in der Konsequenz auch, vorhandene Pflanzen zu ersetzen, wenn sich die Rahmenbedingungen deutlich verschlechtert haben. Diese Denkweise entspricht nicht unbedingt den Baumschutzsatzungen.

 

Groß gedacht: Wie stellen Sie sich die „Grüne Infrastruktur“ der Städte vor?

Eine grüne Infrastruktur fängt damit an, dass neue Gebäude „grün“ geplant werden, also mit Pflanzenverschattung, bewässerten Gründächern und Grauwassernutzung. In Innenstädten sollten selbst kleine Flächen begrünt werden. In Straßen müssen Baumpflanzungen eine Vorrangstellung gegenüber Medien und Parkplätzen erhalten. Das Thema Artenvielfalt spielt eine wesentliche Rolle. Es wäre sinnvoll, wenn Behörden die in den USA anerkannte 30/20/10-Regel nach Santamour beachten würden, die eine höhere Diversität bei Baumpflanzungen zur Folge hätte.

 

Was besagt die 30/20/10-Regel?

Maximal 30% aller in Straßen und Parkanalgen gepflanzten Bäume sollen aus einer Pflanzenfamilie stammen, 20% aus einer Gattung und 10% von einer Art – einige amerikanische Grünflächenämter gehen sogar noch weiter (15/10/5). Mehr Artenvielfalt scheint die beste Prävention, um gegen neue Krankheiten und klimabedingte Veränderungen gewappnet zu sein. Demzufolge wären in vielen deutschen Städten die Anteile an Linden, Spitz-Ahorn und Ahornblättriger Platane zu reduzieren.

 

Soll man also in Zukunft verschiedene Baumarten in einer Straße verwenden?

Soweit muss man nicht gehen. Aspekte wie Ordnung, Gliederung und Identitätsstiftung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Auswahl – da macht es schon Sinn, eine Straße mit derselben Art zu bepflanzen.

 

Kirschlorbeer, Cotoneaster, Forsythie?

Die Pflanzenauswahl ist heute anspruchsvoller als noch vor 10 Jahren. Welche Bedeutung haben Pflanzenkenntnis und  verwendungswissen in Zukunft? Dank vielfältiger Forschung, der Entwicklung von übertragbaren Pflanzkonzepten (z.B. Staudenmischpflanzungen) und der Digitalisierung steht uns heute ein großer Wissensfundus zur Verfügung, auf den jeder zugreifen kann. Gute Pflanzenbestimmung-Apps erleichtern zudem das Bestimmen von Pflanzen. Derartige Entwicklungen müssen auch in der Lehre berücksichtigt werden. Es geht also immer stärker um die richtige Anwendung, als um die Vermittlung von detailliertem Pflanzenwissen. Und dennoch: Ohne einen soliden Grundstock an Pflanzenkenntnissen wird man auch in Zukunft nicht auskommen, sie sind und bleiben die Basis für eine standortgerechte Pflanzenverwendung.

Quelle: galabau-nrw.de